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Esslinger Mutmachgeschichten
Fräsen statt schneiden

Die Schaufensterkrankheit hindert Menschen an einem aktiven Leben. Schmerzen und Krämpfe im Bein machen das Gehen fast unmöglich. Eine neue minimalinvasiven Methode schafft Abhilfe.

Petra Herrmann ist fast 80 Jahre alt. Dies hindert sie jedoch nicht daran, ein aktives Leben zu führen. Sie besucht regelmäßig eine Gymnastikgruppe und hält sich auch sonst fit – mit Spaziergängen. Doch im vergangenen Jahr ging es dann einfach nicht mehr. Starke Schmerzen im Bein quälten die Frau. „Die Schmerzen gingen von der Hüfte bis runter in den Fuß. Sie waren so stark, dass ich nicht mehr gehen konnte“, beschreibt die 79-Jährige ihr Leiden. „Ich dachte, das ist mein Hallux und bin zum Orthopäden.“ Dieser wollte vor einem Eingriff am Fuß erst den Blutdurchfluss der Gefäße klären lassen und schickte die Patientin dafür ins Klinikum Esslingen. Dort stellte man fest: Ein Verschluss in den Blutgefäßen des Beins verhinderte, dass das Blut fließen konnte. Dies war auch die Ursache für die starken Schmerzen. Im Volksmund heißt dieses Leiden auch Schaufensterkrankheit, weil die Betroffenen nach nur wenigen Metern Gehen immer wieder stehen bleiben müssen, bis sich die Beinmuskulatur von der Sauerstoffmangelversorgung erholt hat.

Eingriff verläuft in der Regel komplikationslos

Eine Operation, um den Verschluss durchgängig zu machen, sei nötig, erklärte man Petra Herrmann. Damit hatte sie nicht gerechnet. „Eine Operation in meinem Alter ist ja nicht so einfach. Doch Herr Professor Demirel hat mir alles ganz genau erklärt und mir meine Angst genommen“, berichtet sie. Professor Dr. Serdar Demirel ist seit einem knappen Jahr der Geschäftsführende Chefarzt der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie und Chefarzt der Gefäß- und Endovaskularchirurgie am Klinikum Esslingen. Er legt Gefäßpatientinnen und Gefäßpatienten Stents, führt große Bypassoperationen durch, behandelt Aneurysmen und ist Ansprechpartner bei Problemen aller Art mit Venen und Arterien. „Das faszinierende an meiner Tätigkeit als Gefäßchirurg ist, dass ich praktisch an allen Körperteilen operiere. Und es ist eine sehr filigrane Tätigkeit“, sagt der Chefarzt.

"80 % der Gefäßverschlüsse können am Klinikum Esslingen heute minimalinvasiv behandelt werden."

Prof. Dr. Serdar Demirel

Prof. Dr. Serdar Demirel

Schonende Behandlung bringt Lebensqualität zurück

Die Behandlung von Gefäßverschlüssen überall im Körper gehört zur alltäglichen Arbeit von Professor Demirel und seinem Team. Dabei gibt es verschiedene Methoden. Noch vor 20 Jahren waren Operationen bei solchen Problemen zumeist blutig, die Genesung der Patientinnen und Patienten dauerte lang. Doch mittlerweile gibt es sanftere Methoden. „Manchmal hilft nur eine große Operation. Aber 80 Prozent der Eingriffe machen wir heute minimalinvasiv“, erklärt der Gefäßchirurg. Das bedeutet: Statt einer großen OP, bei der die Chirurginnen und Chirurgen das Bein aufschneiden, werden winzige OP-Geräte durch eine kleine Öffnung ins Innere der Blutgefäße geschoben. Der Klinikaufenthalt ist dabei kurz, meist kann man den Eingrif f ohne Vollnarkose durchführen. Das ist alles wesentlich schonender für die Betroffenen als eine herkömmliche OP. Eine gängige minimalinvasive Methode bei Gefäßverschlüssen ist das Aufweiten des verstopften Bereichs durch das Anwenden eines Ballons oder Setzen eines Stents.

Relativ neu ist die Methode der Rotations- Atherektomie. Auch sie wird minimalinvasiv – also ohne großen Schnitt – durchgeführt. „Die Methode eignet sich ausschließlich bei Verengungen oder Verschlüssen im Bein“, sagt Professor Demirel. „Und auch nur, wenn die Ablagerungen im Gefäß sehr kalkhaltig und hart sind.“ Das sei bei etwa 40 Prozent der Patientinnen und Patienten so. Dann führt der Chirurg eine Art Mini-Fräse von der Leiste aus in die Gefäße des Beins ein. Die verstopfte Stelle wird von dem Rotationskopf des Geräts mit bis zu 73.000 Umdrehungen pro Minute freigeräumt. Der Kalk wird entfernt, pulverisiert und gleich eingesaugt. Zwar gebe es noch keine Langzeitstudien zu dieser neuen Methode, sagt der Chefarzt, „aber die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass diese Methode offenbar wirkungsvoller ist als die reine Behandlung mit einem Ballon, bei der die Gefäße nur geweitet werden, der Kalk aber bleibt.“ Dabei sei das Risiko, dass das Gefäß sich wieder verschließt, deutlich größer als bei der Atherektomie.

Schnell wieder fit

Auch seiner Patientin Petra Herrmann empfahl Professor Demirel einen solchen Eingriff. Die 79-Jährige war zunächst skeptisch. „Ich hatte Angst vor einer solchen OP. Doch Herr Professor Demirel hat mir im Vorgespräch alles sehr gut erklärt.“ Sie willigte ein – und hat dies nicht bereut. „Ich war nur anderthalb Tage im Krankenhaus“, berichtet sie. Bereits am Tag nach ihrer Entlassung aus der Klinik sei sie wieder zu Fuß zum Einkaufen gegangen. „Ich lebe allein, da muss ich mobil sein.“ Heute, mehrere Monate nach dem Eingriff, könne sie wieder fast so gut laufen wie vor einigen Jahren. Auch der Besuch ihrer Gymnastikgruppe ist kein Problem.

Die periphere arterielle Verschlusskrankheit, wie die Schaufensterkrankheit medizinisch korrekt heißt, ist weit verbreitet. „Sie ist mittlerweile so etwas wie eine Volkskrankheit“, sagt Professor Demirel. Durch den Verschluss der Arterie wird nicht mehr genügend Blut und damit Sauerstoff durch den Körper gepumpt. Die Folgen sind Wadenkrämpfe, Schmerzen und Probleme beim Gehen. Risikofaktoren sind laut dem Gefäßchirurgen Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck, ein hoher Cholesterinspiegel, Rauchen, Bewegungsmangel. Aber auch aktive Menschen könnten an der Schaufensterkrankheit erkranken. Denn ein weiterer Risikofaktor für die Arteriosklerose, also die Ablagerung von Fett und Kalk in den Gefäßen, ist das Alter. „Ich habe fitte aktive Patientinnen und Patienten Mitte 70 oder 80 Jahre alt, die biologisch zehn Jahre jünger sind als nach dem Kalender, aber trotzdem einen Verschluss im Bein haben“, so Professor Demirel. 

Zu diesen fitten Patienten gehört auch Werner Neuner. Der 84-Jährige wurde im vergangenen Jahr am Esslinger Klinikum operiert – und zwar an beiden Beinen. „Ich war immer in den Bergen wandern und jeden Tag mehrmals mit dem Hund spazieren“, berichtet Werner Neuner. „Doch dann bekam ich Schmerzen in den Beinen, die mit der Zeit immer schlimmer wurden. Am Schluss konnte ich keine 50 Meter mehr gehen, ohne stehenzubleiben.“

Bei Werner Neuner wandte Professor Demirel verschiedene Methoden an. Das rechte Bein wurde auf konventionelle Weise mit einer Operation sowie einem Stent behandelt. Für das linke Bein, in dem die Ablagerung sehr verhärtet war, eignete sich die Rotations-Atherektomie. Der Krankenhausaufenthalt war bei der zweiten OP im linken Bein deutlich kürzer als beim ersten Mal bei der großen Operation. Bereits nach drei Tagen konnte Werner Neuner die Klinik verlassen. „Heute kann ich problemlos wieder zwei Kilometer am Stück laufen. Das ist fast so gut wie vor meiner Erkrankung“, freut sich der 84-Jährige. Nun stehen wieder tägliche Spaziergänge auf seinem Programm.

Vorbeugen durch aktiven Lebenswandel

Diese empfiehlt Professor Demirel übrigens allen Menschen. „Um Gefäßverschlüssen vorzubeugen, ist viel Bewegung wichtig.“ Außerdem sollte man aufs Rauchen verzichten und auf sein Gewicht und eine gesunde Ernährung achten. „Man kann viel für die eigene Gesundheit tun und dafür, fit und beweglich zu bleiben“, sagt der Arzt. Und wenn es dann doch zu Problemen kommt, stehen die Gefäßchirurgen mit ihren sanften OP-Methoden bereit. Der Vorteil dieser minimalinvasiven Methoden ist laut Professor Demirel, dass diese sich auch für sehr alte Menschen eignen. „Eine OP ist immer ein Risiko. Aber bei den minimalinvasiven Eingriffen arbeiten wir mit Lokalanästhesie. Das ist wesentlich schonender als eine Vollnarkose. Das kann ich guten Gewissens auch einem 85-Jährigen empfehlen.“

Für Petra Herrmann und Werner Neuner haben sich die Eingriffe gelohnt. Die Operationen haben sie problemlos überstanden. Und ihre Lebensqualität hat sich entscheidend geändert. „Ich bin sehr zufrieden. Ich kann wieder laufen. Und das ist doch das Wichtigste“, sagt die Patientin.

Gut informiert: Im ES-TV Video-Interview schildert Professor Dr. Serdar Demirel die Methode der Rotations-Atherektomie. Auch die Patienten Werner Neuner und Petra Herrmann kommen zu Wort.

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Interview mit Chefarzt Prof. Dr. Serdar Demirel

Klinikum Esslingen
Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie
Prof. Dr. Serdar Demirel, FEBVS, MHBA
Geschäftsführender Chefarzt und Chefarzt der Gefäß- und Endovaskularchirurgie
Telefon 0711 3103 2701
s.demirel@klinikum-esslingen.de

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