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Esslinger Mutmachgeschichten
Federleichte Superheldin

Ein extrem Frühgeborenes kämpft sich ins Leben. In der Esslinger Neonatologie ist man für solche Fälle optimal gerüstet. 

Wenn die sechsjährige Nika nach einer Gutenachtgeschichte fragt, erzählt ihr Vater, Aleksandar Djordjevic, ihr manchmal von einer kleinen Superheldin: Die Superheldin wog nur 490 Gramm, als sie auf die Welt kam und trotzdem kämpfte sie sich tapfer ins Leben. „Papa, das bin ich, oder?“ fragt Nika dann jedesmal. 

Dass Nika einen schwierigen Start ins Leben hatte, merkt ihr heute keiner mehr an. Sie sei ein gesundes, aufgewecktes Kind, berichtet Aleksandar Djordjevic. An die Geburt seines ersten Kindes am 16. Oktober 2016 erinnert der heute 39-Jährige sich noch ganz genau. „Nika kam völlig unerwartet.“

Normalerweise dauert eine Schwangerschaft etwa 40 Wochen. Ende der 23. Woche klagt Nikas Mutter plötzlich über Rückenschmerzen. Sind das nur Rückenschmerzen – oder etwa Wehen? Das Paar aus Plochingen ist beunruhigt. „Wir haben im Klinikum Esslingen angerufen und die Ärzte empfahlen uns vorsorglich lieber gleich zu kommen. Wir wollten gerade los, da setzen bei meiner Frau Blutungen ein. Da dachten wir: Jetzt wird es kritisch.“ Da eine Frühgeburt droht, bekommt Nikas Mutter im Krankenhaus ein Medikament, das die Lungenreife des Kindes beschleunigt. Mithilfe eines Wehenhemmers können die Ärzte die Geburt noch eine Nacht hinauszögern, am nächsten Tag müssen sie Nika per Notkaiserschnitt holen. „Ich habe mich unglaublich hilflos gefühlt“, so Aleksandar Djordjevic.

Optimale Versorgung für kleinste Patienten 

Ungefähr so groß wie ein Maiskolben sind Kinder, die wie Nika Anfang der 24. Schwangerschaftswoche geboren werden. Ihre Haut ist extrem dünn und schimmert durchsichtig. Die Babys können ihre Körpertemperatur nicht selbst regulieren. Der Darm kann Nährstoffe noch nicht ausreichend verwerten. Die Atmung funktioniert noch nicht. Da das Gehirn noch nicht ausgereift ist, können jederzeit Gefäße reißen und Hirnblutungen auftreten. 
 

„Als Perinatalzentrum Level 1 bieten wir am Klinikum Esslingen die höchste Versorgungsstufe.”

Britte Brenner

Britta Brenner

"Die Kinder sind eigentlich noch nicht bereit, auf der Welt zu sein“, so Oberärztin Britta Brenner. Sie leitet am Klinikum Esslingen die Neonatologie, eine Intensivstation speziell für extrem früh oder krank geborene Kinder. Damit die kleinsten Patientinnen und Patienten sich außerhalb des Mutterleibes sicher entwickeln können, ist die Station mit modernster Medizintechnik ausgestattet: Von Inkubatoren und speziellen Beatmungsgeräten bis hin zu diagnostischen Apparaten wie Röntgen, Sonographie oder Echokardiographie. „Als Perinatalzentrum Level 1 bieten wir am Klinikum Esslingen die höchste Versorgungsstufe“, so Brenner. „Unser Team ist hochspezialisiert und multiprofessionell aufgestellt: Fachärztinnen und Ärzte für Neu- und Frühgeborenenmedizin, pädiatrische Intensivpflegekräfte und Expertinnen und Experten aus der Kinderradiologie, Physiotherapie oder Logopädie. Zudem gibt es hier eine Kinderchirurgie. Neugeborene mit komplexen Fehlbildungen können bei Bedarf direkt bei uns im Haus operiert werden und müssen nicht in eine andere Klinik verlegt werden.“ Rund 450 bis 500 früh und krank geborene Kinder werden jedes Jahr auf der Neonatologie versorgt – darunter auch extrem früh geborene Kinder wie Nika.

Nach ihrer Geburt liegt Nika im Inkubator, wird beatmet und über eine Magensonde ernährt. Für die Eltern beginnt eine sorgenvolle Zeit. „Ich erinnere mich, dass ich an einem der ersten
Tage im Parkhaus des Klinikums stand und überlegte: Löse ich ein Tagesparkticket? Oder gleich ein Monatsticket? In meinem Kopf überschlugen sich die Fragen: Schafft unsere Tochter das?
Wie lange bleiben wir hier? Was kommt noch alles auf uns zu?“ so Aleksandar Djordjevic. „Ziemlich früh stellte sich bei mir aber das Gefühl ein: Klar, schaffen wir das. Da war ein Vertrauen in das Team der Neonatologie, in die Situation. Vor meinem inneren Auge konnte ich uns mit Nika schon zuhause sehen.“

 

Mut machen

„Leider gehen nicht alle Geschichten gut aus, auch wenn alle Beteiligten ihr Möglichstes tun“, sagt Britta Brenner. Sie und ihr Team wollen den Eltern Mut machen, aber nichts beschönigen. „Wie ein Frühgeborenes sich entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab und es können jederzeit Veränderungen eintreten. Wir vermitteln den Eltern: Der Weg wird mal bergauf und mal bergab gehen. Wichtig ist, dass die Kurve insgesamt stetig aufwärts geht.“

Bei Nika geht sie aufwärts: Nach einem Monat atmet das Kind selbstständig. Sie erreicht die Ein-Kilo-Marke. Sie erreicht die Zwei-Kilo-Marke. Insgesamt dreieinhalb Monate verbringt Nika im Klinikum Esslingen. Ihre Eltern sind täglich bei ihr. „Es gab keine Besuchszeiten. Wir konnten zu jeder Tages- und Nachtzeit bei Nika sein.“ „Man muss Vätern und Müttern von Frühgeborenen Zeit geben, in ihre Elternrolle hineinzuwachsen“, weiß Britta Brenner. Deswegen bietet das Klinikum Esslingen „Rooming-In“ an: Es gibt Zimmer, in denen Mutter und Kind gemeinsam liegen können. „Eltern sind bei uns keine Besucher, sie sind Teil des Teams“, so Brenner. Selbst in den Corona-Jahren konnten Eltern immer zu zweit zu ihren Babys. „Durch die vielen Testungen hatten wir nie einen Corona-Fall.“


Familienzentralisierte Pflege

Brenner weiß auch: „Anfangs steht bei den Eltern oft erst einmal Überforderung. Bei uns gibt es Psychologen und Seelsorger, an die sie sich wenden können. Gleichzeitig nehmen wir Ängste, indem wir die Eltern anleiten und sehr früh in die Versorgung ihrer Kinder mit einbinden. Die Eltern sollen zu Fachleuten für ihr Kind werden. Das gibt Selbstvertrauen.“ Das findet auch Aleksandar Djordjevic: „Für uns war es sehr wichtig, dass wir nicht nur Zuschauer waren, sondern etwas tun konnten. Das nahm einem das Gefühl der Machtlosigkeit.“


„Unsere familienzentralisierte Pflege nutzt nicht nur den Eltern, sondern auch den Kindern“, betont Britta Brenner. „Studien zeigen: Die Stimme, der Geruch, der Körperkontakt – all das fördert die Entwicklung des Kindes. Aus diesem Wissen heraus setzen wir auch seit langem schon auf die sogenannte Känguru-Pflege: Sobald die frühgeborenen Kinder stabil sind, können sie über Stunden auf der Brust ihrer Mutter oder ihres Vaters liegen.“

 

Muttermilchernährung wird gefördert

Die Bindung, die beim „Kangorooing“ entsteht, wirke sich bei der Mutter auch positiv auf die Milchbildung aus: „Die Ernährung mit Muttermilch hat viele positive Effekte, vor allem stärkt sie das Immunsystem. Um das Stillen zu fördern, stehen den Müttern bei uns zertifizierte Stillberaterinnen und speziell ausgebildete Pflegekräfte zur Seite. Sind die Kinder zu schwach, um die Brust zu nehmen, können die Mütter Milch abpumpen und auf der Station in einem speziellen Kühlschrank lagern.“ Für Mütter, die nicht stillen können, hat das Team der Neonatologie seit neuestem ein besonderes Angebot: „Dank einer Kooperation mit einer Frauenmilchbank haben die Kinder Zugang zu Spendermilch.“

Auch Nikas Mutter konnte ihr Kind mit Muttermilch ernähren. „Erfolge wie diese haben wir gemeinsam mit dem Stationsteam gefeiert. Die Pflegekräfte haben Fotos von Nikas erstem Bad gemacht. Als Nika ein Kilo auf die Waage brachte, wurden wir mit einem Luftballon begrüßt. Als es dann Zeit war, nach Hause zu gehen, haben sich alle riesig gefreut. Aber wir
haben beim Abschied auch ein paar Tränen verdrückt. Wenn man so eine lange Zeit miteinander verbringt, wächst man eng zusammen.“

Im Mutter-Kind-Zentrum des Klinikum Esslingen kommen jährlich rund 1.800 Kinder zur Welt. Die allermeisten Geburten verlaufen normal. Doch auch für Komplikationen ist man bestens gerüstet. Tag und Nacht steht für Risikoentbindungen eine Fachärztin oder ein Facharzt für Neu- und Frühgeborenenmedizin bereit. „Bei bekannten Risikoschwangerschaften betreuen die Neonatologie und die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe die werdenden Mütter bereits vor der Geburt gemeinsam, denn der beste Schutz für das Baby ist es, eine Frühgeburt zu vermeiden“, so Britta Brenner, Leiterin der Neonatologie. Auch könne man einiges tun, damit das Baby bei einer Frühgeburt bessere Chancen hat, sich gesund zu entwickeln. Zum Beispiel mit Medikamenten, die die Lunge schneller reifen lassen. „Zeichnet sich eine Frühgeburt ab, geben wir auch den Eltern die Möglichkeit, sich vorzubereiten. Wir erklären bei einem Vorgespräch, was auf sie zukommt und beantworten Fragen. Die Eltern können vor der Geburt auf Wunsch die neonatologische Station besuchen.“

Sozialmedizinische Nachsorge: Unterstützung über die Klinik hinaus

Zuhause sei es dann erst einmal ein komisches Gefühl gewesen. „Eine Mischung aus Freude und Angst.“ Auf sich alleine gestellt sind Familien wie die Djordjevics in ihrem neuen Alltag aber nicht: Das Klinikum Esslingen unterstützt Familien von Frühgeborenen und schwerkranken Kindern nach einem längeren Klinikaufenthalt dabei, im eigenen Umfeld zurechtzukommen. „Zum einen nehmen wir Kontakt zu den niedergelassenen Kinderärzten auf, tauschen Informationen aus und sorgen so dafür, dass die Betreuung reibungslos weiterläuft. Zum anderen gibt es die Sozialmedizinische Nachsorge, eine Art Bindeglied zwischen der Klinik und dem eigenen Zuhause. Die Mitarbeiterinnen besuchen die Familien regelmäßig zuhause, beobachten die Entwicklung des Kindes, beantworten Fragen und geben Tipps“, berichtet Britta Brenner.

 

„Elterncafé“: Betroffene unterstützen sich gegenseitig

Aleksandar Djordjevic hat bis heute den Kontakt zum Klinikum gehalten. Er engagiert sich im „Elterncafé“, will anderen Betroffenen beistehen. „Vor Corona fanden die Treffs alle zwei Wochen auf der Station statt. Während der Lock-Downs kamen wir nach Bedarf ins Klinikum und haben uns zum Einzelgespräch mit den Eltern verabredet. Wir hoffen, dass die Veranstaltung jetzt bald wieder regulär stattfinden kann.“ Das hofft auch Britta Brenner, die das „Elterncafé“ sehr schätzt: „Der Austausch mit Menschen, die dasselbe erlebt haben, gibt den Familien Kraft. Das erlebe ich immer wieder.“

Britta Brenner, die die Neonatologie seit 2021 leitet, hat die Familie Djordjevic erst durch das „Elterncafé“ kennengelernt. „Kinder wie Nika machen Mut. Den Eltern, aber auch uns als Stationsteam. Sie motivieren uns, immer vollen Einsatz zu bringen, selbst in schwierigen Zeiten.“ Brenner spielt damit auf den deutschlandweiten Fachkräftemangel in der Kinderpflege an. „Unser Team ist hochmotiviert, so fangen wir viel ab. Aber wie alle hoffen auch wir natürlich auf die Politik.“ Über 60.000 Frühgeborene im Jahr kommen hierzulande auf die Welt. Die Politik müsse jetzt handeln, findet Britta Brenner, damit diese Kinder auch in Zukunft optimal versorgt werden können.

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...dass der Lärm im MRT-Gerät von den Umschaltgeräuschen des Magneten kommt? Die Geräusche sind etwas so laut wie eine Bohrmanschine.

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Klinikum Esslingen
Klinik für Kinder und Jugendliche

Britta Brenner
Oberärztin Neonatologie
Telefon 0711 3103-3501
b.brenner@klinikum-esslingen.de

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